Aus fremder Schuld

Анна Бовель
Für Gerta Fau zum 75. Geburtstag von den Kindern

Am zweiten Februar geboren
Ist unsres liebe Mütterlein.
Sie hat im Leben viel gefroren,
Nur ab und zu gab `s Sonnenschein.

Im neunzehn hundert sechsunddreißig(1936)
Kam sie als zweites Kind zur Welt.
Die Eltern waren beide fleißig,
Doch nie gab es genug am Geld.

Mit sieben Monaten – die Reise,
Von Ukraine nach Kasachstan:
Drei Monate fast ohne Speise
Und ohne Dach ging es voran.

Der Zug blieb oft, gar oft zum Stehen:
Die vielen Toten mussten raus,
Und wieder Neue gab `s zu sehen,
Die hatten auch mehr kein Zuhaus`.

Nur einen Bündel von Zuhause
Hielt jeder Flüchtling in der Hand;
So kam der Bohl, der Fau und Krause…
In ein so kaltes fremdes Land.

Zu Fuß, mit Ochsen und mit Pferden,
In Angst, in Trauer und mit Schmerz
Kamen sie an. Wie soll s nun werden? -
In Bange fragte jedes Herz.

Kein Haus, nur weite-weite Steppe,
So weit das Auge sehen kann;
Das weiße Federgras als Schleppe,
Bezauberte nicht jedermann.

Sie gruben Löcher in die Erde,
Und deckten sie mit Schilf und Gras.
Auch auf dem Boden Schilf, so werde
Es nicht so eisig kalt und nass.

Aus Gräsern kochten sie Balanda,
Aus Wurzeln, Blättern, - was es gab,
Doch viele waren s nicht imstande,
Und landeten ins Massengrab.

Das Massengrab gibt es noch heute,
Bei Ostrownoje, so heißt der Ort, -
Nicht weit vom Friedhof. Wie viel Leute
Gestorben sind vom Hunger dort!

Es gab sie, viele tausend Stätten,
Mit Millionen Leichen drin,
Die sich vom Tod nicht konnten retten, -
Der Hunger richtete sie hin.

Dann kam der Krieg, - das Große Elend,
Und Mamas Vater musste weg.
Die Trudarmee. S gab nichts zu wählen,
Von ihr gab `s nirgends ein Versteck.

Die Mama krankte schwer und lange,
Vom Hunger schwoll ihr an der Leib;
Vom Fieber glühten ihre Wangen,
Doch wich der Tod, Gott sagte: bleib!

Sechs Jahre um, kommt Vater wieder
Und unsere Mutter ist sehr froh,
Sie darf zur Schule, klingen Lieder,
Doch leider ging s nicht lange so.

Sie wurde krank, infolge litten
So ihre Ohren bis auf jetzt.
Vorbei die Schule. Flehen und bitten  -
Umsonst. Sie war zutiefst verletzt.

Ihr Vater wollte ihr beibringen
Das Lesen, Schreiben und den Rest.
Doch diese Wünsche, sie zergingen,
Denn alle waren sehr gestresst.

Sie musste viel im Hause machen, -
Noch sechs Geschwistern waren da.
Da gab s nicht all zu viel zu lachen,
Sie alle waren ihr sehr nah.

Mit fünfzehn ging sie Kühe melken,
Denn sie war fleißig, schnell und gut;
Sie blühte auf, wie eine Nelke
Und hatte in sich Feuerglut.

Sie sang so herzlich schöne Lieder,
Es zeihte einem bis ans Herz;
Und alles duftete nach Flieder,
Auf kurze Zeit wich Leid und Schmerz.

Im neunzehn hundert achtundfünfzig (1958).
Als Mama zweiundzwanzig war,
Um nicht alleine sein künftig,
Verliebt sie sich, und sehr sogar.

Im nächsten Jahr ging es zur Sache:
Sie gingen beide zum Altar,
Da gab s nichts All zuviel zu machen,
Und ihre Träume wurden wahr.

Sechs Kinder kamen aus der Ehe,
Sechs liebe Kinder, Gott sei Dank.
Doch statt Geborgenheit und Nähe
Gab es auch öfter Streit und Zank.

Doch Mama, unsere liebe Mama,
Die liebste Mama dieser Welt,
So herzenswarme, wundersame,
Sie ist für uns der größte Held.

Sie liebte uns vom ganzen Herzen,
Für alle war sie immer da.
Bei Kummer, Ärger, Leid und Schmerzen
War sie mit Leib und Seel` uns nah.

Die Arbeit, Haushalt und der Garten,
Das Kochen, Waschen, Nähen, Säh`n, -
Nichts lies die Mama lange warten,
Denn alles musste schnell geschehen.

Nicht fünfzehn sind wir, auch nicht achtzehn
Und keiner wohnt von uns daheim.
Wir sind nun alle längst erwachsen,
Ein jeder hat sein eig`nes Heim.

Schon siebzehn Enkel heutzutage,
Und Urenkel, bis jetzt nur zwei,
Doch das ist alles keine Frage,
Das klappt auch weiter einwandfrei.

Wir alle, die wir hier zusammen
Vor unserer lieben Mama steh`n,
Wollen vom ganzen Herzen sagen:
Wir wollen Euch noch lange seh`n.

Wir sind Euch dankbar für das Leben,
Dass Ihr uns, Kindern, habt geschenkt;
Dass Ihr Sich ganz habt hingegeben
Für uns, und Sich habt eingeschränkt.

Schon fünfundsiebzig(75) volle Jahre
Hält Gott Euch fest in seiner Hand,
Um Euch vom schlimmsten zu bewahren,
Und führte euch ins weite Land.

Ins Land der Väter, die stets träumtet,
Mit Füssen selbst hier einst zu steh`n,
Aus fremder Schuld das doch versäumten,
Und dürften s nur vom weiten seh`n.

Ihr dürftet, ja, mit uns zusammen
Betreten dieses Vaterland.
Jetzt sind wir glücklich hier beisammen
Und gehen munter Hand in Hand.

Gott möge Euch auch weiter segnen,
Wie Er Euch stets gesegnet hat,
Und in der Ewigkeit begegnen
Im Himmelsland, in Seiner Stadt.
 
Februar 2011