Wasser des Lebens

Ôëîðåñòèíà
Wasser des Lebens. Karsamstagsgedanken.

 In meiner Wohnung haengt dieses Kreuz. Ich liebe es sehr. Es ist ein altes, ein verfaerbtes, ein mitgenommenes Kreuz, und die Spiegelflaechen, die der Kuenstler um die eigentlichen Balken geklebt hat, sind zerbrochen. Es stammt aus Bolivien, und vereint in sich die landestypische Froemmigkeit und Verspieltheit.

 Links von Jesus sieht man eine lachende Sonne. Rechts von Jesus einen Pfeife rauchenden Mond. Ich habe das Kreuz in einem Antiquitaetenladen erstanden, und das haette ich vermutlich allein schon wegen des Pfeife rauchenden Mondes.

 Der eigentliche Grund aber ist der: der Jesus, der dort am Kreuz haengt, zeigt zwar die ueblicherweise in den Vordergrund tretenden Wundmale und blutenden Blessuren, doch in einem unterscheidet es sich von den üblichen Darstellungen: der Kuenstler hat Stroeme blauen Wassers aus Jesu Wunden treten lassen. Aus seinen Haenden, seinen Fuessen, seiner Seite rinnt das kostbare Wasser, und auch die Schweissperlen auf seinem Gesicht und die Traenen an seinen Wimpern gehaeren dazu. Unten am Kreuzstamm werden diese Rinnsale zu einem Gewaesser, in das der Kuenstler “Agua Viva” geschrieben hat: “Lebendiges Wasser”.

Und das ist der Grund, warum dieses Kreuz fuer mich eines ist, das von einem erfahrbaren Geheimnis erzaehlt, dem die Mystiker aller Kulturen sich stets naeherten, und dem jeder Betende sich zu naehern imstande ist, und weniger von einem Blutzoll, der sich einer vermeintlichen universellen Suende verdankt. Das ist der Grund, warum dieses Kreuz fuer mich Signum der Lebendigkeit ist – ein Kreuz der Freude, auch angesichts der groessten Ungeheuerlichkeit einer sterbenden Gottheit.

 Das lebendige Wasser in der Bibel

 Der Topos vom “Wasser des Lebens” findet sich in vielen Stellen der Bibel. Schon das Alte Testament ist durchsetzt vom Bild Gottes als Quell. Jesus greift dieses Bild in seinen Reden auf, doch verweist er nicht auf diese Quelle im Aussen, die der immer duerstende Mensch in der Ferne suchen müsse. Er sagt zwei Dinge, die für die Menschen damaliger Zeit ein Affront gewesen sein duerften: dass er naemlich dieses Wasser habe, und den Menschen gebe. Und dass in jedem Menschen, der davon trinke, der Quell lebendigen Wassers sprudeln werde.

 "Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt." (Johannes 4,14)

 Und da dieses Wasser das hoechste Gut ist, der Ursprung allen Lebens, das Versprechen der Ewigkeit, was muss der Mensch da wohl leisten, um es zu erlangen? In der Offenbarung des Johannes gibt Jesus die Antwort: nichts, außer durstig zu sein, ausser es zu wollen. Ein Verlangen liegt allem zugrunde. Und dem der verlangt, wird das Wasser geschenkt.

 "Ich, Jesus, habe meinen Engel gesandt, euch dies zu bezeugen fuer die Gemeinden. Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids, der helle Morgenstern. Und der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hoert, der spreche: Komm! Und wen duerstet, der komme; und wer von dem Wasser des Lebens trinken will, wird es geschenkt bekommen." (Offenbarung 22,17)

 Dieses Verlangen wohnt in uns allen. Wir haben viele Namen dafür. Der eine sagt, er sehne sich nach Glueck. Der andere sagt, er sehne sich nach Seelenfrieden. Manch einer wuenscht sich angesichts alles Endlichen, er möge etwas Bleibendes in der Welt hinterlassen. Der naechste wuenscht sich Zweisamkeit, tiefe Liebe, Freundschaft, und wiederum ein anderer wuenscht sich, dass endlich jedes Lebewesen frei von Leiden sei.

 Verlangen als Erinnerung an unsere Natur

 Ich moechte meinen, dass all jene Herzenswünsche so etwas sind wie ein tief in unsere Seele eingeschriebenes Versprechen: dass da Leben sei. Unerschoepfliches, unendliches, unteilbares Leben. Manchmal ist unsere Erinnerung daran ein Verkosten, eine Klarheit im Angesicht dessen, was an unserem Seelengrund liegt. Manchmal aber ist unsere einzige Erinnerung daran eine traurige Sehnsucht, und wir spueren jeden Tag die Abwesenheit von etwas, das alles was wir sind und tun in ein anderes Licht ruecken wuerde.

 Die Kartage sind eine Zeit, in der wir die Stille, die Abwesenheit und die Traurigkeit zulassen. Am Karsamstag verdichtet sich die Stille zu einem Meer des Schweigens – die katholische Kirche feiert an diesem Tag keine Messe und teilt an diesem Tag keine Kommunion aus (Ausnahme: Sterbende) weil der Tod Jesu, die Abwesenheit der Gottheit, vergegenwärtigt werden soll.

 Mir gefaellt dieser Brauch auch heute noch, weil er es zulaesst, dass wir unsere satte Heilsgewissheit für einen Tag ablegen und uns auf eine Erfahrung einlassen, die keine Zeichen des Triumphs traegt – wohl aber Zeichen der Verbundenheit mit einem menschlichen Christus, der selbst ohne jeden Trost seine Gottverlassenheit am Kreuz ausrief.

 Ein beredtes Bild

 Der Christus an meinem Kreuz blutet und verstroemt doch lebendiges Wasser. Das ist wohl ein einfaches und zutiefst beredtes Bild, das mir erzaehlt, wie nah uns der goettliche Strom immerzu ist – noch aus unseren Wunden leuchtet er, und auch da wo wir gebrochen sind, fliesst er mit ungebrochener Kraft. Es erzaehlt mir auch, wie viel Sterben immerzu noetig ist, damit jener, der Quell allen Lebens ist, sich in uns erheben kann. Es erzaehlt mir, dass die Gottesgegenwart in der Seele ein Geheimnis ist, dessen Entschleierung sich in alle Aederchen des Lebens ausbreitet, auf unzaehlige Weisen.

 Es gibt auch Zeiten, die sind wie ein nicht enden wollender Karsamstag, und jede Gewissheit und jede Freude sind fern. Dann bleibt uns aber immer noch, im Vertrauen auf die Offenbarungsworte von diesem groessten aller Geschenke, denn Gott selbst ist es der sich schenkt, die Bitte der Samariterfrau am Brunnen:

“Herr, gib mir von diesem Wasser.” (Joh 4,15)