Deutschland mein Sommermaerchen

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„… Nur daemmernd war das Zimmer von einer einzigen Kerze erhellt. Diese warf  dann und wann halb furchtsame, halb neugierige Lichter ueber…“ die Gesichter der jungen Leute, die ueberall sassen, wo man nur sitzen konnte, und einem Maedchen zuhoerten. Es waren etwa ein Duzend Personen in einem Zimmer des Studentenheimes, das so winzig war, wie nur Zimmer in einem Studentenheim sein koennen. Und das Maedchen, sich auf der Gitarre begleitend, leise sang:
„Die Traeume werden Rauch…“

Es war gegen Ende unserer Tauschpraxis, in einem Ostdeutschen Staedtchen, wohin wir – die Studenten einer der Moskauer Hochschulen – von unsern Kollegen der Technischen Hochschule Ilmenau eingeladen worden waren. Hinter uns lagen drei Wochen Aufenthalt im Zentrum und Sueden der DDR, von denen ich den Eindruck der Unwahrscheinlichkeit in mir trug.
Ich war ganz ueberfuellt von den Erinnerungen an die unwahrscheinlich stillen und sauberen Strassen des Berliner Vorortes mit dem klingenden Namen – Lueckenwalde, an die wunderlichen Felsen der Saechsischen Schweiz und die unwahrscheinlich vielfarbigen Erfurter Blumen.
Ich begeisterte mich fuer die gotische Architektur und fuer die vier Jahre alte Maedchen und Knaben, die unwahrscheinlich fliessend Deutsch sprechen konnten.

Aus einem Land kommend, wo Bier nur „Zhiguliovskoje“ (und nur manchmal “Moskovskoye“) sein sollte, und das in den Doerfern nur waehrend der Wahlen verkauft wurde, kam ich jedes Mal in Verwirrung, wenn ich die Frage hoerte: "Welche Sorte moechten Sie bestellen?”

Carla – so das Maedchen hiess – war natuerlich jung, unwahrscheinlich huebsch and so lebenslustig, dass die melancholischen Worte „Die Traeume werden Rauch…“ schienen mir etwas ganz fremdes, etwas, das keine materielle Kraft hatte. Um so mehr, dass es die glueckliche Zeit war, wenn die Traeume erst begonnen hatten in Erfuellung zu gehen.
 
Nur sehr wenige sovietische junge Leute, so wie ich, die Moeglichkeit hatten, die beruehmten Unter den Linden entlang bis zu dem, damals schon geschlossenen (oder noch geschlossenen), Brandenburger Tor zu gehen, hinter dem die unbekannten und ebenso unverstaendlichen Vertreter der fremden buergerlichen Welt „in Unzucht und Pracht“ lebten.

Unter sehr wenigen europaeischen Touristen, hatte ich das Gluck die Schuetzen der Dresdener Gemaeldegalerie kennen zu lernen, wo eine ganze halbe Stunde stand ich vor der Sixtinischen Madonna, vergebens versuchend, ihr in die Augen zu schauen.

Und ich sollte meinem Schicksal unendlich dankbar sein fuer das unschaetzbare Geschenk – fuer die Moeglichkeit, mich vor einer, mir heiligen, Stelle zu verbeugen.
Es ist die beruehmte Thomas Kirche, wo auf der Steinplatte der unsterbliche Name fuer die Ewigkeit gemeisselt ist: „J. S. Bach“
 
Diese Blockfluete hatte ich vor der Abreise in Berliner Warenhaus „Zentrum” gekauft. Den Rest meines Geldes  hatte ich fuer die Kerzen von unglaublichen Formen, Farben und Dueften ausgegeben. Die Kerzen kann ich doch Ihnen nicht vorzeigen. Sie haben gewoehnlich ein helles, aber sehr kurzes Leben.

Nur noch einmal sah ich Carla Just. Es war waehrend ihres Aufenthaltes in Moskau nach der Einladung der damals beruehmten musikalischen Gruppe „Harmonie“. Ich war auf dem Belarus Bahnhof angekommen, um Abschied zu nehmen. Natuerlich, regnete es…, und der nasse Asphalt war von den glaenzenden gelben und roten Blaettern bedeckt…

Viele Jahre sind seitdem vergangen, und zu viele Traeume sind wirklich Rauch geworden. Warum doch sind die Erinnerungen an diese Tage noch so deutlich? Und warum, immer wieder, scheint es mir dass ich die leise Stimme hoere?:
„Die Traeume werden Rauch…“