Eine Ergaenzung zu Schillers Handschuh

Н.Н.
Neulich hatten mein Sohn und ich Schillers "Handschuh" durchgenommen und waren in einen heftigen Streit ueber Kunigundes Verhalten geraten. Als Begruendung meines Standpunkts habe ich daraufhin diesen kleinen gereimten Text verfasst.


Wir eroeffnen das Tribunal der Geschichte,
Zwischen Kunigunde und Delorges es richte,
Warum sie infam mit dem Ritter verfahren,
Entsetzlichen ihn aussetzte Gefahren.

Die Wahrheit soll siegen an diesem Ort,
Der Dame geb ich zuerst das Wort,
Wir sollen erfahren aus ihrem Munde
Ein wenig mehr als bei Schiller ueber die Gruende.

Jahrhundertelanges Schweigen bricht
Die Belle Dame, die sich ausspricht:

" Euer Ehren, Sie kennen das Maennergeschlecht,
Jedes Mittel ist ihnen recht,
Ins Netz suesser Worte wolln sie dich fangen,
Um deine hoechste Gunst  zu erlangen.

Ach, allzuoft vor meinem Balkone
Liess Ritter Delorges Minnelider ertoenen:
"Edle Dame, darf ich Euch freien?
Mein Leben und Sterben will ich Euch weihen,
Wollt ihr zusehen, wie ich nun darbe,
Ich verhunger am ausgetreckten Arme,
Wenn ich mich an Eurer Schoenheit labe.
Mit dem Kreuzzug zu dem Herrengrabe
Zoege ich gegen die Sarazenen,
Duerfte ich mich Euren Liebsten waehnen!
Wenn Ihr mich erhoert in Eurem Alkoven,
Geh ich selbst in die Hoehle des Loewen..."

Nicht laenger will ich Eure Zeit stehlen,
Euer Ehren, mit dem Aufzaehlen
Dieser Zuckerperlen, die er mir darbot,
Wenn ich weiterrede, werde ich rot...
Es hat ja auch nicht allzuviel Sinn,
Denn vieles sagt sich so leicht dahin...

So wohl moegen auch die Worte geraten,
Der Mensch misst sich doch an seinen Taten..."

Und so Kunigunde vom Pulte steigt,
Waehrend Delorges nur betreten schweigt...

Nun ruft der Richter den Ritter auf
Und seine Rede nimmt ihren Lauf:

"So kunstvoll ist auch das Frauengeschlecht,
Die Kunst verstehn sie mehr schlecht als recht.
Denn darf ich der Dame das sagen? - Sie,
Verstehen recht duerftig die Poesie.
Sie darf man nicht messen am Wahrheitsgehalte,
Schoene Gedanken muss sie enthalten,
In einer veredelten Form dargebracht,
So entfaltet sich Wortes Macht.
Die Uebertreibungen sind ein Kunstgriff,
Die Dichtung lebt ja von diesem Kniff,
Man darf ja nicht diese schoenen Weisen
Interpretieren als Handlungsanweisung,
Dem schnoeden Alltag haelt der Dichter nicht Treue,
Die Herzen solln seine Weisen erfreuen...

So erhoert mich an diesem Orte:
An deren Schoenheit soll man messen die Worte..."

 
- Nun, all dies ist ein starkes Stueck...
Das Gericht zieht sich zur Beratung zurueck...