Erstes Kapitel II

Алексей Романович Луговой
II.

Deshalb habe ich mich im Fruehjahr 2016 erneut entschieden, nach Russland, in den Osten zu gehen. Anfang Maerz brachte mich der Zug zum Flughafen von Hannover. Ich war schon im Vorgeschmack des bevorstehenden Fluges, da die Eindruecke der vergangenen Jahre, als ich in den sibirischen Breiten war, schon am Flughafen mit bunten Farben zu spielen begannen. Fuer einen Anfaenger, der zum ersten Mal eine Reise nach Sibirien unternimmt, kann diese Vorfreude durch etwas ersetzt werden, das mit der Angst vor dem Unbekannten verbunden ist. Und das zieht auch an.
Mein Name ist Wolodja, ich bin 29 Jahre alt. Durch meine Ausbildung bin ich ein Paedagoge, der an der Rehabilitation von Patienten der psycho-neurologischen Ambulanz beteiligt ist und sie auf ein ausgeglichenes normales Leben vorbereitet, auf Lebensbedingungen mit all ihren Vorurteilen und Unmittelbarkeit, Herausforderungen und Einfachheit.
Der Flughafen von Hannover ist ein wunderbarer Ort. Hier ist das Leben schon anders als in der Stadt. Hier ist das komplette Internationale in den Hallen. Paesse mit verschiedenfarbigen Ueberzuegen blitzten hier auf - von hellrot ueber blau bis gruen. Hier torkeln Leute in verschiedenen Kleidern. Jeans, Pullover, Maentel, Pelzmaentel, kirchliche Kaftane, muslimische Kleider, Kleider mit subkultureller Zugehoerigkeit. Alles ist voller Farben, und die Vorfreude auf die Reise in den Augen aller.
Hier, an einem so ueberfuellten Ort, fuehre ich jedes Mal ein Experiment durch, halte Ausschau nach einer gespraechigen Gesellschaft und setze mich irgendwo in der Naehe hin, hoere was die Leute sagen. Normalerweise passiert das in drei Abteilungen - Menschen mit Tickets nach Rom, nach Tel Aviv und nach Moskau. Ich denke, das ist klar warum. Italiener sind natuerlich gespraechig, und wenn ich ihnen zuhoere, verstehe ich nichts, aber die Musik der Sprache, manchmal ausdrucksstark, manchmal albern, rauh, lachanfaellig, sorgt fuer gute Laune. Die Israelis  sind auch interessante Leute. Nur am Flughafen kann ich hoeren, wie echtes Hebraeisch klingt, denn sonst sprechen die Juden auch in Hannover nur russisch. Russen zuzuhoeren ist deshalb interessant, weil nur in ihren Gespraechen alle Probleme des Lebens auf einmal, alle unwichtigen Kleinigkeiten aufgegriffen werden, und das alles ist miteinander verflochten - Humor und Ernsthaftigkeit – so dass einem klar wird - das ist wahre Rehabilitation. Sie "schauckeln" das Gespr;ch einmal zur komischen Absurditaet, dann zu Traenen, die sich manchesmal in den Augen zeigen, so dass klar wird, diese Menschen werden immer in der Lage sein, zu weinen, zu lachen. Deshalb ist sogar Dostojewski, auch Puschkin in der Wortgewandheit fuer sie zu klein, ihre Gespraeche sind unerschoepflich. Und deshalb gibt es in der russischen Kultur so viele Schriftsteller.
Und so ist es jedes Mal. Jedes Mal scheint es, dass ich schnell um die ganze Welt gerannt bin, und dann mich hier in einem Sessel in Hannover am Flughafen niedergelassen und verstanden habe, dass alles in Ordnung ist. Erst dann schaue ich auf den Bildschirm, der die Fluege anzeigt, und wenn ich Hannover-Moskau finde, bewege ich mich zu meinem Terminal.