Advokat Martian - 5

Надия Медведовская
Martian geht ins Tablinum und trifft dort Isogen, einen alten ehrwuerdigen Mann,
mit ruhig-strengem Gesichtsausdruck.

Isogen
Gruess Gott, mein Bruder.

Martian
Friede sei mit dir.
(Weist Isogen auf den Sessel, dieser setzt sich. Martian nimmt den Platz gegenueber ihm auf dem Schemel.)

Isogen
(Martian zusehend)
Du siehst so aus, als traf dich naemlich Unglueck?

Martian
Ah, Bruder, meine Kinder - sie umkommen!

Isogen
Was ist denn los mit ihnen? Noch vor kurzem
Sah ich sie ganz gesund.

Martian
Ja, ihre Krankeit
Betrifft nicht Leib, nur Geist. Und beide muss ich
Verlieren. Meine Tochter geht zur Mutter,
Mein Sohn kommt zu Soldaten. Das bedeutet,
Die beiden rennen sicher ins Verderben.

Isogen
Was du nicht sagst?! Und laesst du sie so gehen?
Du bist ihr Vater - uebe deine Macht!

Martian
Ich wag es nicht, mein Bruder. Und mit ihnen
Sprach ich nicht als ein Maechtiger, schon eher
Als einer, der im Innern Schuld verspuert.

Isogen
Woran bist du denn schuld?

Martian
Ich, wie ein Heide,
Verurteilte zum Opfer meine Kinder,
Ich legte frei sie auf den Scheiterhaufen -
Jetzt geht es schon zu Ende...
(verstummt in Schwermut)

Isogen
Bruder Martian,
Ich habe dich noch richtig nicht verstanden,
Sonst wuerde ich vielleicht auch etwas raten.

Martian
(mit jaeher Hoffnung ergriff Isogen an die Hand)
Ja, schaff du Rat, mein Bruder, hilf mir doch
Die Kinder zu erreten, Christus wegen!

Isogen
Wenn ich nur wuesste, welchen Rat du brauchst?..

Martian
So bitte nur den Bischof um Erlaubnis,
Sie in die Kirche heute einzufuehren.
Wenn du ein gutes Wort dafuer einlegest...

Isogen
Nicht jetzt.

Martian
Ach, Bruder! keinen Augenblick
Ich habe zu verlieren!

Isogen
Und wir auch.
Den Bischof warf man ins Gefaengnis.

Martian
Wann?!

Isogen
Erst heute frueh. Und morgen ist Gericht.

Martian
Wieso, so unversehens?

Isogen
Weisst du doch,
Es kommen jene schlechten Zeiten wieder,
Wo uns Gesetz nicht vaeterlich beschuetzt,
Sondern verfolgt und bringt uns in Bedraengnis.
Ich kam zu dir ja naemlich mit der Bitte,
Dass du ihn morgen im Gericht verteidigst.

Martian
Es wird nicht leicht, denn knapp ist schon die Zeit.
Ich kenne auch nicht einmal diese Sache.

Isogen
Hier habe ich schon alles mitgebracht,
Das da gehoert. So schau mal und waege,
Ob man was tun noch kann.
(Reicht Martian eine Pergamentrolle. Dieser sieht sie aufmerksam an.)

Mittlerweile laeuft Aurelia schnell und vorsichtig die Treppe hinab und begibt sich zur Pforte. Auf der Mitte des Peristilums haelt sie an und begibt sich ins Tablinum, aber, den Kopf starsinnig geschuettelt, biegt wieder zur Pforte ab. Unterwegs pflueckt sie ein Blatt von der Agave, sticht sich, aber unterdrueckt das Stoehnen des Schmerzes, verbirgt das Blatt unter ihrem Schleier und, ohne zurueckzuschauen, laeuft durch die Pforte hinaus.

Martian
(nachdem er sich die Pergamente angeschaut hat)
Ja, wird es schwer,
Jedoch mit Gottes Hilfe moeglich, glaub ich.
(verwegen)
Ja, Bruder, ich will schon mein Bestes tun,
Die ganze Nacht bis Morgen werde arbeiten
Und alles machen, was der Mensch nur kann.
Gewaehre mir doch jetzt ein bisschen Zeit,
Lass meine Kinder rufen, und dann selber
Befrag sie nach dem Glauben - ich lehrte
Sie ganz genau nach unserem Kanon.
Und wenn sie wuerdig sind, schon heute abend
Sie in die Kirche einzufuehren...

Isogen
Nein,
Das kann ich nicht, denn du gerade musst
In voller Achtung vor den Heiden stehen.

Martian
Ich gehe doch nicht selber in die Kirche!

Isogen
Du glaubst, Menschen werden nicht erfahren,
Wen ich in die Gemeinde eingefuehrt?
Denn diese Nachricht wird die ganze Stadt
Blitzschnell durchfliegen! Kaum du besteigst
Dein Pult - so wird es in der Menge droehnen:
"Die Advokatenkinder sind ja Christen!"
Wie koenntest du danach die Rede halten?
Und wo wir finden noch einen Verteidiger?
Du weisst ja selbst, den zweiten gibt es nicht.
Wir koennen uns an andere nicht wenden
Hier in der Stadt, denn sie sind keine Christen,
Und ihr Geschick gleicht auch nicht dem deinen.
Nach Rom zu senden - knapp ist schon die Zeit.
In Rom bist du zudem ein Einflussreicher,
Bei Hofe hast du Freunde, im Senat.
Wer koennte uns noch helfen, wenn nicht du?

Martian
Bedenke aber, Bruder: ich bin Mensch,
Ich bin doch Vater! Soll ich meine Kinder
So in der Finsternis verloren gehen lassen?

Isogen
Mit Christuswort hast du sie doch erleuchtet!

Martian
Die Keime sind zu ungestuem gesprossen,
Weil es auf gutem Neuland war gesaet.
Wenn jetzt die Fruechten nicht geerntet werden,
Dann fallen und verderben sie. Die Kinder
Empfingen Wort und streben jetzt nach Werken.
Du weisst doch, Bruder, ist der Mensch schon durstig,
So muss er trinken, selbst aus einer Pfuetze,
Wenn er kein gutes Wasser finden kann.
Ja, trinken - oder sterben. Meine Kinder,
Sie haben doch kein laues Gemuet.
Mit Herz und Hand dem Herrn sie wuerden dienen.
Die Tochter kann mit heilgem Traum flammen,
Dem Glauben sich wie Maertyrer ergeben.
Mein Sohn ist tapfer, klug und fest entschlossen -
Aus ihm ein guter Prediger doch wuerde.

Isogen
So mag es sein. Doch haelt sich unsre Kirche
Jetzt schon an andre Regeln, als zuvor.
Natuerlich, in den Wehen fliesst viel Blut
Und wird geschriehen - das ist schon vorbei.
Jetzt muss die Kirche Menschenblut doch schonen,
Und es in Milch und Honig wandeln lassen,
Und reden so, wie eine weise Mutter,
Und lehren uns Vernunft. Auch unser Bischof
Befiehlt den Maedchen, dass sie nach den Kraenzen
Der Maertyrinnen nicht so heftig streben,
Dass sie dem Herrn in dem Gehorsam dienen.
Und Prediger wir haben doch genug.
Die Kinder koennen dich uns nicht ersetzen.
Denn du bist in der Kirche wie ein Eckstein,
Den ganzen Bau haeltst du jetzt alleine,
Zwar bleibst unsichtbar. Aber wenn du stolperst,
Dann faellt die Saeule, bricht das Haus zusammen,
Der Bischof wird verurteilt zur Verbannung,
Die Kirchengueter werden konfisziert.
Wovon dann sollen unsre Seelen leben?
Der Feind doch weiss, was gibt der Kirche Halt, -
Auf Schafe zielt er nicht mehr, nur auf Hirten,
So will er ganze Herde weit zerstreuen.
Vertilgt er nicht die Treuen, sondern zieht
Unter den Fuessen uns den Boden weg.
Du weisst - da hilft uns weder Blutvergiessen
Auf der Arena, noch die beste Predigt.

Schweigen

Wer weiss, vielleicht noch wuerden deine Kinder
Uns Schaden bringen...

Martian
(verwundert)
Was hast du gemeint?

Isogen
Ja, mit der Jugend haben wir‘s jetzt schwer.
Wie wilde Pferde reissen sie die Zuegel
Und wollen nicht mit Scheuklappen rumlaufen.
Noch gestern ging ein Sturm durch die Versammlung,
Der Bischof schliess Ardens vom Umgang aus.

Martian
Ardens?! Wofuer? Wie ist’s dazu gekommen?

Isogen
Nur Ungehorsams wegen. Hoertest du,
Dass dort, auf unsrem konfiszierten Grundstueck,
Wo frueher eine Kleinkapelle stand,
Jetzt fuer den Caesarkult sind ausgestellt
Altar und Statue?

Martian
Ja, weiss ich das.

Isogen
Ardens beschloss, die Statue zu zerschlagen.

Martian
Mein Gott! Darauf gehoert doch Todesstrafe!

Isogen
Er fuerchtet keine Strafe. Und wir fuerchten,
Dass er die Christen der Gefahr aussetzt.
Der ganze Klerus bat ihn abzusagen,
Doch kennst du seinen ungedaempften Eifer.

Martian
So war auch eben sein verstorbner Vater,
Als Schueler nannten wir ihn Hurrikan,-
Denn feurig war mein Freund und aufrichtig,
Sein Sohn hat heisses Herz von ihm geerbt.
Nein, mein Gedanke kann es nicht begreifen,
Dass sich die Kirche von Ardens lossagt...

Isogen
Es bleibt nichts uebrig, sei es denn, dass er
Auf seine Absicht selber nun verzichtet.
Doch wage ich kaum noch darauf zu hoffen,
So liess ich unterdessen Briefe schreiben,
Wo seine Aechtung schon verkuendet wird.
Die werden wir an alle Kirchen senden,
Noch mehr an alle staatlichen Behoerden
Sofort wenn seine Absicht er erfuellt.
Und dich ich moechte mittlerweile bitten
Von mir und von dem Klerus: uebernimm
Du keinesfalls Verteidigung, wenn er
Vor das Gericht gestellt wird. Und noch besser,
Wenn du dich zu Ardens gar nicht bekennst
Vor Menschen - so, als ob du ihn nicht kenntest.

Martian
Der Vater von Ardens war doch mein Freund
Und mich beauftragte mit Vormundschaft,
Als er lag auf dem Sterbebett.

Isogen
Formell
Warst du kein Vormund. Und Ardens gehoert
Gar nicht zu deiner Kundschaft, so dass du
Ganz leicht abseits von ihm noch bleiben kannst,
Wenn du das willst. Du musst uns doch gehorchen,
Wenn du ein treuer Knecht von Christus bist
Und guter Sohn der Mutter Kirche, Bruder.

Schweigen

Martian
(in traurigem Nachdenken)
Geht all das nicht schon ieber Menschenkraft?
Den Freund verleugnen...Ganz bewusst zulassen,
Dass meine Kinder ins Verderben gehen...
Wer von uns Menschen haette so getan?

Isogen
Und wenn dein Freund das Haus dir verbrennt,
Sollst du danach ihn noch als Freund behandeln?
Und kommt es nicht so vor, dass Vater selbst
Die Pforte von der Stadt, die wird belagert,
Vor seinen Kindern oeffnet nicht, damit
Der Feind hinein nicht kommt, und sei es auch,
Die Kinder schon verdursten?

Martian
Ach, mein Bruder!
Hier handelt es sich doch um ihre Seelen!

Isogen
Die Seelen sollst dem Herrn du anvertrauen,-
Er kann sie auch im Loewengruben retten,
Hinausfuehren aus dem Feuerofen.

Martian seufzt schwer und beugt den Kopf.

Isogen
(nach dem Schweigen)
Nun, Bruder, wie wird es mit der Schutzrede?
Verteidigst du den Bischof?

Martian
(mit farbloser Stimme, als sei ihm  gleichgueltig)
Selbstverstaendlich.

Isogen
(steht auf)
Da will ich, Bruder, keine Zeit dir nehmen,
So bleib im Frieden.

Martian
Friede sei mit dir.
(Nachdem Isogen gegangen, oeffnet Martian den Vorhang und ruft)
Valentus!

Valentus tritt ins Tablinum und stellt sich vor dem Vater. Dieser schaut schweigend nach unten, die Augen auf den Sohn nicht hebend. Stille.

Valentus
Willst du etwas sagen, Vater?

Martian
Ich hoffte, einen Ausweg zu finden.

Valentus
Und was?

Martian
Ich habe Isogen gebeten,
Euch jetzt in die Gemeinde einzufuehren.

Valentus
(froehlich)
Du hast fuer uns gebeten? Vater!
(Kuesst dem Vater die Hand)

Martian
Nein,
Du freust dich noch zu frueh, Valentus, er
Will nicht.

Valentus
Dann gehen wir auch selber,
Wenn du nur uns erlaubst, in die Kirche.

Martian
Man nimmt euch dort nicht an.

Valentus
Hat Isogen
Die Macht zu binden und zu loesen?

Martian
Nein,
Doch weiss er wohl, was wuenscht der ganze Klerus.

Valentus
(bricht in Zorn aus)
Wenn er bloss wuenscht, die Seelen auszuloeschen,
Dann zeugen in der Sammlung wir davon,
Mag die Gemeinde ueber uns entscheiden!
Vor allen will ich oeffentlich dann reden,
Dein Name wird mit Schmach auch nicht bedeckt!

Martian
Nein, Sohn, die Kirche sollst du nicht zerspalten,
Sonst lebte ich vergebens in der Welt.

Valentus
Das ist doch Sklaverei des Geistes!

Martian
Nein,
Nicht des Gehorsams wegen bitte ich,
Dass du dich in dem Bruederwillen fuegest.
Selbst Isogen hat mich so ueberzeugt,
Dass dieses Opfer unumgaenglich sein muss,
Ich kann nicht anders.

Valentus
Schreckt er etwa dich
Mit der Verfolgung?

Martian
Nein, Valentus, glaub mir,
Ich wuerde weder eignes Leben schonen,
Noch euch, des Lebens schoenste Blueten, wenn
Ich wuesste nur, das koennt; dem Glauben dienen.
Doch Wege Gottes sind fuer uns Geheimnis,
Wer sie begreift? Mag sein, der Herr auch braucht
Die taubstummen Knechte...

Valentus
(traurig)
Soll das troesten?

Martian
Mein Sohn, du kannst dich aber damit troesten,
Dass du noch jung bist - wenn der Herr mich holt
Zu sich, dann wirst du frei...

Valentus
Es gibt vielleicht
Auch manchen Sohn, der sich darueber freute,
Doch ich bin nicht von solchen.

Schweigen.

Es ist Zeit.
Zum Abschied willst du, Vater, mich nicht segnen?
(neigt sich vor dem Vater)

Martian
(sich nur mit Muehe beherrschend)
Ruf auch die Schwester, damit ich sie segne.

Valentus
(leise)
Sie ist gegangen.

Martian
Schon?! Und ohne Abschied!
(Verhuellt sein Gesicht mit der Toga.)

Valentus
(noch leiser)
Du, Vater, weinst?

Martian
(enthuellt sich)
Ich moechte gerne weinen,
Doch kann das nicht.

Valentus
(wirft sich auf die Knie vor dem Vater)
Vergebung, lieber Vater!
Ich sehe, wir haben dir das Herz zerbrochen!

Martian
(hebt ihn auf)
Ich bin mehr schuld. Zerbrach ich eure Seelen.
Erbarme sich uns aller grosser Gott!

Abschied im Schweigen. Valentus geht durch das Peristilum aus der Pforte, die Traenen abwischend. Martian oeffnet den Vorhang im Tablinum und folgt ihm mit den Augen.