Вавилонский плен - 2

Надия Медведовская

Der Mann
Warum dann sangst du nicht von der Gefangenschaft,
Gosst keine bittren Traenen der Unfreiheit?
Ein kalter Tropfen hoehlt auch harte Steine,
Und mag es sein, beruehren heisse Traenen
Auch boeses Herz?

Eleasar
Der Herr hat meine Seele
So stolz gemacht. Ich wuerde nie im Leben
Vor Fremden weinen.

Der Mann
Nun, solch grosser Duenkel
Passt nicht zu dem Gefangenen.

1. Prophet
Erhoben
Hat sich bei dir des Hochmuts Horn schon hoeher
Als Leid und heil'ge Liebe!

Eleasar
Wie kannst du
Das Unermessliche ermessen? Weisst du denn,
Das laesst sich nicht mit der Vernunft umfassen.

Der junge Bursche
Beredt ist doch Eleasar im Volke!
Warum verstummen dann all seine Leiden,
All seine Stolz und Liebe auf den Plaetzen
Von Babylon? Mangelt es dort an Raum?

Eleasar
Meintest du, nicht? Den Raum jener Plaetze
Ich hatte mit den Fuessen schon gemessen!
Ich kenne aber auch andere Raeume.
Einst ging ich naemlich an dem Platz vorbei,
Wo uns're Leute einen Turm dem Moloch
Schon laengst errichten. Und ich blieb dort stehen,
Ich schaute, wie weiss erscheint da Marmor,
Als schimmern Knochen auf dem Feld der Schlachten.
Es roetet dort Porphyr wie frisches Blut,
Es glaenzet Gold so hell wie feine Flammen,
Und wirkt der Bau unvollendet so
Als seien es Ruinen. Und ich hoerte
Den Ruf von uns'ren Siegern und das Stoehnen
Von unsrem Volk... so dass ich ungewollt
Mit lauter Stimme in den weiten Raum
Nur dieses Wort aufschrie: Jerusalem!
Die Arbeiter von oben das erwiderten
Mit Schluchzen, und die Waechter mich verhoehnten:
"Hat noch Ruine irgendeinen Namen?
Willst du verbrannte Oede noch so nennen?"
Und ich ging weg - und kam zum Sklavenmarkt.
Dort waehlte sich ein reicher Kaufmann
Die schoensten Maedchen.

Frauenstimmen aus dem Volk
Weh uns, uns're Toechter!

Eleasar
Ich sagte ihm:
"Besinne dich, mein Herr,
All diese Maedchen haben Vaeter, Brueder...
Und wenn auch deine Schwester oder Tochter
Vom Feind gefangen waere, dann sollt sie
Auch so verkauft werden?" Er nur sagte:
"So ist doch Schicksal der Besiegten..." Weiter
Ich ging und sah noch, wie ein grosser Mann
Den kleinen Sklaven plagte, ihn beladen
Mit schwerem Kram und trieb ihn wie ein Maultier,
Und schlug ihn mit dem Stock. Ich sagte ihm:
"Besinne dich, er ist ein kleiner Junge!"
"Er ist mein Sklave", - brummte nur der Ruepel.
"Und wenn dein Sohn verkauft waere - dann
Er wuerde auch ein Sklave?" - "Meinetwegen"
Sprach laut er und lachte. - "Aber ich,
Wie du schon sahst, verkaufe keine Soehne,
Doch kauf' mir die Euren!" Wer und was
Kann solche Herzen treffen? War's nur einmal,
Als ich den Fremden weinen sah vom Liede:
Der Koenig selbst zu Traenen war geruehrt
Ueber das Ende von Saul und Jonatan.

Stimmen aus dem Volk
Es leb' der Koenig, der ist doch barmherzig!
Auf ihn wir hoffen!

Eleasar
Jener gute Koenig,
Der wollt' mich schoen belohnen.

2. Levit
Und womit?

Eleasar
Er bot mir eine Kammer im Palast
Und dazu reichlich Maedchen aus Judaea!
Seitdem verdammt sind mir auch jene Lieder,
Die unsre Sieger so zu Traenen treiben -
Denn das sind Traenen Nilscher Krokodile!

Der junge Bursche
Du solltest ihnen Heldenlieder singen
Damit sie Staerke unsres Volkes kennen!

Eleasar
(bedrueckt)
Das sang ich auch.

Der junge Bursche
Und was?

Eleasar schweigt.


Der Alte
Sag, Eleasar,
Was halten Fremde denn von unsrem Ruhme?

 Eleasar
(spricht langsam, als ob mit gro;er Muehe)
 Der eine pfiff nur, laechelte und winkte
 Mit seinem Kopf. Der andere dann sagte:
"Nicht alles war auch so, wie du gesungen."
Der dritte wollte mich gar ueberreden,
Dass ich zu Heeressaengern komme. Alle
In einem waren einig nur, sie sagten:
"Ist Mittelpunkt der Welt bloss dein Jerusalem?
Kennst du denn keine Lieder aus Edom,
Aus Mizraim? Der Ruhm von Amalek,
Oder Amon, die Amoritertaten -
Gleicht all das nicht denn eurem alten Ruhm?
Vergangen laengst ist Ruhm von Israel!"

1. Prophet
Oh Herr, bestraf des boesen Feindes Mund,
Lass ihn in Tod verstummen!

Eleasar
Ich begann
In fremder Sprache ihnen dann zu singen
Von Edom, Mizraim und fremden Zungen.
Sie hoerten, wie des Edoms krummes Schwert
Mit Waffen von Assur gebrochen wurde,
Wie Amalek, Amon und Amoriter
Von Raeubern zu den Sklaven werden mussten,
Wie Mizraim, ein Herr der halben Welt,
Einst ueber Staemme Israels Gebieter,
Sich hoher Macht auch unterwerfen musste,
Wie Pferd und Reiter fielen in das Meer,
Samt ganzer Staerke stolzer Pharaone,
Wie Haus der Knechtschaft letztlich war verwuestet.

Der junge Bursche
Und hoerten sie?

Eleasar
Ja, einige erblassten.

2. Prophet
Oh, moegen sie auf ewig so erblassen!

Der junge Bursche
Warum dann sagtest du schon nicht direkt,
Dass Tag des Zorns auch Babylon erwartet?

Eleasar
Fuer solches Wort ist Babylon zu eng...
Und heute sang ich ueber jene Staedte,
Sidon und Tyros,deren weisen Meister,
Auch ueber ihre Schaetze, deren gleiche
Gab nie und wird auch nimmer geben hier
In babylonischer Schatzkammer.

1. Levit
Gut verdient
Hast du mit solchen Liedern?


Eleasar
Meinst du etwa,
Bekommt der Saenger kanaansche Schaetze?
Ich habe heute Abendbrot fuer mich.

Der junge Bursche
Und wenn du sangst das Lob auf Babylon
Und seine Staerke priesest, dann solltest du
Schon manchen goldnen Ring dafuer bekommen!

Eleasar
Magst du mit Gift auch sprechen, wie Echidna,
Zum Glueck nicht alle doch erreicht das Gift!
Wann hoertest du mich solche Lieder singen,
Die Babylons Ruhm und Staerke preisen?

Der junge Bursche schweigt beschaemt.

Eleasar
Durch Schweigen hast du selber dich verurteilt.

Der Alte
Eleasar, mag sein, dass deine Lieder
In Babylon am rechten Platze sind,
Doch alle Zungen, Edom und Mizraim,
Erinnern uns nicht mehr an Palaestina,
Erwecken nicht das Wort Jerusalem!

Eleasar
Braucht ihr schon, das man euch dran erinnert?

Der Alte
Nicht uns, doch jene, die sich unter Feinden
An deren fremde Sprache schon gewoehnten.

Eleasar
Wie koennen sie dann auch mein Lied verstehen?
Mit fremden Worten laesst es sich nicht singen.

Der Alte
Ja, so vergisst du wegen fremder Sprachen,
Das Wort "Jerusalem" hier auszusprechen!

Eleasar
(Er steht nachdenklich. Seine Hand beginnt die Saiten auf der Harfe zu beruehren, und, als ob er wachend traeumt, laesst er seine Stimme erklingen wie ein Lied oder eine Klage.)
Einst war so maechtig meine Rechte,
Wer koennt' sie damals ueberwinden?
Dann sagte ich zu meiner Seele:
"Glueck sei mir, hab ich eine Rechte!"
Ich musste sie auch nie ermahnen:
"Du, Rechte, weisst, dass du mein bist!"
Doch boeser Feind mir Hand verletzte,
Haute meine Rechte ab!
Wen kann ich ohne sie besiegen,
Wer ist nicht staerker jetzt als ich?
So Tag und Nacht zu mir ich sage:
"Weh mir! Wo ist jetzt meine Rechte?"
Ich weine, auf die Schulter schauend:
"Wie kann ich meine Hand vergessen!

(Er streicht still ueber die Saiten.
Im Volke hoert man leises Weinen.)

Bei meinem Vater war ein dichter Weinberg,
Bei meiner Mutter war ein gruener Garten,
Wo ich gewandert, Trauben gepflueckt,
Und Blaetter mit den Fuessen dort gestampft.
Ein boeser Nachbar steckte sie in Brand,
Verwuestete den Weinberg und den Garten.
Verbrannten Reben, fallen Trauben nieder,
Prachtvolle Schoenheit wurde ganz verbrannt.
Wenn ich ein Blatt nur unter Fuessen finde,
So will ich es auf mein Herz zaertlich druecken.
Ihr, liebe Brueder, sagt mir, wer von euch
Hat nur ein Blaettchen aus meinem Weinberg?

Die Saiten erklingen trauriger. Der Jammer verstaerkt sich.

Ich hatte einen Traum drohend,
Wer von euch wird ihn mir entraetseln?
Als kaeme ich in Feindes Haende,
Der Feind sei boese, unerbittlich.
Was sollte er denn mir zufuegen,
Was hat der Feind mir angerichtet?
Meine Haende, sie bleiben noch stark,
Meine Fuesse, sie bleiben noch fest,
Meine Augen, sie sehen noch weit,
Mein Leib, er bleibt doch unversehrt,
Und nur meine Zunge, die Zunge allein -
Die hat mir der Boese geraubt!
Ein einz'ges Wort wollt' ich da aussprechen,
Bloss meine Stimme klingen wollt' ich hoeren -
Da stroemte Blut so heiss zu meinem Munde,
Doch Schluchzen war durch Stummheit ueberwaeltigt!

Langes Schweigen. Die Harfe gleitet Eleasar aus den Haenden, und das Stoehnen ihrer Saiten, nachdem zum letzten Mal erklungen, hoert auf. Die Klagen im Volke verstummten, als waeren sie abgebrochen.
Stille.

Eleasar
(wuerdig, aber fest und eindrucksvoll)
Ihr, meine Vaeter, Brueder, Muetter, Schwestern!
Ich warte doch - auf Steine oder Worte.

Schweigen.

Gibt's einen Fluch, der schlimmer ist, als Schweigen?

Der Alte
Wir fluchen auf dich nicht, Eleasar.

Der junge Bursche
Vergib mir, Bruder, mein hochmuet’ges Wort.

Eleasar
Ihr flucht mich nicht. Und ich will eurer Worte
Auch nicht gedenken, Brueder. Doch ein Fluch,
Er bleibt auf mir noch liegen, Fluch des Blutes.
Das Blut von uns'ren Vaetern, das umsonst
Fuer unerfuellte Freiheit war vergossen,
Es lastet doch auf mir und auf uns allen,
Es laesst uns uns're Stirn zur Erde neigen,
Zu jenem Stein, der koennt' sich gegen mich
In Haenden meines Volkes nicht erheben.

Der Menschensohn hat selber sich verletzt
An jenem scharfen Stein, wenn er gefallen,
Zerrissen seine Kleider in Verzweiflung,
Sich Haupt bestreut mit jener Schandenasche!
Ach, ich fiel auch, wie unser Heiligtum,
Wir fielen alle nieder, wie Jerusalem.
Und jetzt nicht leicht wird's, unser Heiligtum
Aus den Truemmern wiederaufzubauen,
Und so auch wir aus der Gefangenschaft
Nur mit der schweren Qual aufstehen koennen.

Weil uns're Haende auch entehret sind,
Die wagten nicht, uns Leben bloss zu nehmen,
Doch arbeiten fuer Feinde. Zionsmaedchen
Bedeckten sich mit Schmach, indem sie nicht
Ertranken in Euphrat, sie gingen aber
Zu Soehnen der Unzucht, und jetzt sie muessen
Die Frucht der Schande tragen. Auch mein Mund
Von Schmach betroffen ist, denn er vor Hunger
Verstummte nicht, er sang in fremder Sprache
Auf den verdammten Plaetzen, wo alle Lieder
Erklingen laut - nur ein einziges Lied,
Das sich vom Herzen losreisst - es muss sterben.

Die Schande drueckt uns mehr, als uns're Ketten,
Sie trifft uns haerter, als die Eisenfesseln.
Die Sklaven koennen zwar auch Ketten dulden
Oder vergessen - und das wird am schlimmsten.
Wir muessen waehlen zwischen Tod und Schande,
Solang ein Pfad gesperrt ist nach Jerusalem.
So lasst uns, Brueder, neue Wege suchen
Zum Heiligtum, wie sucht eine Gazelle
Nach frischem Wasser in der trocknen Wueste,
Damit der starke Feind nicht sagen koennte:
"Erschlug ich Israel, und es ist tot!"

Und bis wir sie nicht finden, lasst uns kaempfen
Fuers Leben, wie ein Panther auf der Treibjagd,
 Damit kein neuer Spruch entsteht bei Menschen:
"Der Herr von Israel schlaeft fest im Himmel".
Oh, Babylon, du freust dich noch zu frueh!
Denn uns're Harfen klingen an den Weiden,
Die Tochter Zion brennt noch ihre Schande,
Der Loewe Judas bruellt noch seinen Zorn.
Es lebt der Herr! Es lebt noch meine Seele!
Es lebt doch Israel, auch wenn in Babylon!


Stimme eines Rufers aus dem Lager
Zu den Zelten, Israel! Es kommt die Nacht!

(Die Menschen gehen zu den Zelten auseinander, jeder zu seinem Zelt. Auf einem entfernten Turme sieht man babylonische Magier, die nach den Sternen wahrsagen. Es dunkelt. Das Lager wird still. Aus Babylon dringt noch schwacher Nachhall der Nachtorgien. Feierliche Nacht zittert ueber dem Lager der Gefangenen und ueber Babylon. Hie und da brennen Feuer bei den Vorposten. Stille.)

San Remo, 15.11.1903