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Wozu braucht der Wagen das f;nfte Bein oder
Perlenzeitalter der russischen Poesie

Mit einem Interview mit Konstantin Aleksandrowitsch Kedrow

Beitrag von Anatolij Grinvald – ;bersetzung: Sergei Tenjatnikow.

Essay und Interview


Konstantin Aleksandrowitsch Kedrow 2009 (pd)

Prosaische Einleitung
Spricht ein Dichter ;ber die Poesie, ist es in erster Linie die Selbst­reflexion. Wie jeder Mensch, wenn er ;ber Probleme und Er­rungen­schaften der Menschheit spricht, identi­fiziert er sich entweder mit dem Objekt seiner Aus­f;hrungen oder stellt sich dem entgegen. Derjenige Dichter, der sich dem literarischen Prozess allgemein oder in seinem eigenen Land entgegen­stellt, ist entweder ein Rebell oder ein Genie. Letzteres ist der Fall, wenn das Ergebnis seiner Computer­meditation ein Meiste­rwerk ist. Schaffung von Meisterwerken ist aber ;u;erst schwierig. Wenn man sich an den Schreibtisch mit solcher Absicht setzt, ist es nahezu utopisch eins zu schreiben. Da das Arbeits­material, d.h. W;rter, gew;hnlich ist, braucht man mehr als sie blo; sch;n zu ver­arbeiten. Das Sp;ren und Einfangen der Harmonie in sich selbst und in der Au;enwelt ist der erste Schritt auf dem Weg zu einem guten Text. Auf diese Art und Weise im Text einge­fangene Harmo­nie macht aber ein Kunst­werk nicht aus. Mit den Kunst­werken verh;lt es sich mehr als schwierig. Es ist katastrophal! In diesem Fall bin ich mit dem zeit­gen;s­sischen russischen Schrift­steller Andrej Gelasimow ein­ver­standen, dass es zehn bis zwanzig B;cher gibt, die man unbe­dingt gelesen haben sollte. Das seien die Kunstwerke, sagt er, alles andere sei einfach gute Literatur. Viel­leicht auch sehr gute Lite­ratur, aber eben keine Kunstwerke. Mit der Poesie verh;lt es sich im Gegen­satz zu Prosa etwas einfacher und ;bersicht­licher. Im Laufe des Lebens schafft ein guter Dichter ein Dutzend lyrischer Kunst­werke, aber keine B;cher. Es gibt nat;rlich Poesie in Prosa: Ein Text, der wie aus dem Ei gepellt ist. Man schm;­kert ihn und wird elektri­siert wie von der Lyrik. In der modernen rus­sischen Literatur geh;ren Neschnyj vosrast (dt. Das zarte Alter) von dem schon erw;hn­ten Andrej Gelasimow und Gortensija (dt. Horten­sien) von Boris Rochlin zu solchen Texten. Dabei f;llt es schwer eine Grenze zwischen Poesie und Prosa zu ziehen. Was ist dann die Poesie? Versuchen Sie eine Definition dieses Be­griffs zu finden: Schlagen Sie Brockhaus, Encyclop;dia Britannica oder Academic American Encyclo­pedia nach. Gefunden? Ich bin verwundert, wenn das so ist. Ich bin aber noch mehr erstaunt, wenn Sie an diesen Definitionen Gefallen gefunden haben. Wenn das nicht der Fall ist, schlage ich Ihnen meine eigene Definition vor: Die Poesie ist die Konzentrierung und ;bertragung der positiven Energie (Energie plus) von Mensch zu Mensch, die in einem ;u;erst knappen Text zum Ausdruck gebracht wird, d.h. sie benutzt eine Vielzahl der assoziativen Zeichen (Entscheidungen). Es ist nicht schlimm, wenn diese Definition Ihnen auch nicht gefallen hat. Ich bean­spruche weder die absolute Wahrheit noch m;chte ich damit in die Geschich­te eingehen. Das Einzige, was ich m;chte, dass nach­dem meine Oma diesen Text heute gelesen hat, sie mir vor 25 Jahren einen chinesischen Tisch­tennis­schl;ger kaufen werde. Es gab damals gute Tisch­tennis­schl;ger f;r nur 15 Rubel auf dem Schwarz­markt: Eine Seite war gr;n und die andere rot. Und dann werde ich ein Sportler und kein Schrift­steller.

Der himbeerrote Sakko1 f;r den Dissidenten
Goldkette f;r den Dichter
Der sowjetische Dichter Jewgeni Jewtuschenko pr;gte ein gefl;geltes Wort: Ein Poet in Russ­land ist mehr als ein Poet. Und gewisser­ma;en entsprach das der sowjeti­schen Realit;t. Es gab einen eigen­artigen Poesiekult. Dichter traten in Stadien auf. Sie wurden auf offener Stra;e erkannt. Zwar waren nicht alle ber;hmt, aber immerhin man kannte sie. Dieser Poesiekult wurde vom Staat gef;rdert. Der Staat brauchte Hymnen: Eine kulturelle Best;tigung seiner Existenz sozusagen. Sogar die kleinen, aber zupackenden Dichter lebten damals ausk;mmlich, wenn sie sich nicht in Positur gegen;ber dem Staat warfen und somit Dissidenten wurden. Die Dichter besa;en Wohnungen, Datschen, Autos, all die Symbole der sowjetischen High Society. F;r all das mussten sie nicht einmal den Sozialismus und seine F;hrer verherrlichen. Es reichte zwei oder drei systemkonforme Texte zu schreiben, damit der Gedichtband ver;ffentlicht werden konnte. Diese Texte wurden als Dampfloks bezeichnet, weil sie das ganze Buch wie Waggons gezogen haben. Das war eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gab es Dissidenten. Sie besa;en nichts au;er Schulden, Ruhm im Freundeskreis und eine Akte beim KGB-Oberst. Man hatte die Wahl: Erfolgreich, aber etwas beschmutzt zu sein oder sich sein Leben lang von den Nudeln zu ern;hren, aber das Talent nicht zu verkaufen. Der Staat stellte einerseits die Poesie und den Dichter auf das h;chste Postament, andererseits erschienen Dichter dem Staat gef;hrlich, wenn sie n;mlich ihr russisches Lieblingsspiel Der Dichter und der Zar spielen wollten. Aus diesem Grund flirte der Staat mit den Dichtern und behandelte sie zeitweilig behutsam. Der Dichter wurde zu einem Mittler zwischen Himmel und Erde, der die zarte Energie des Himmels empfangen kann, und die Poesie wurde zu einer universellen russischen Religion, zu der sich hin und wieder Millionen bekennen. Die Welt rettet doch die Sch;nheit, nicht wahr?

Und sie dreht sich doch!
Man kann die moderne russische Poesie in mehrere Bereiche aufteilen: Zum Ersten sind das die so genannten dicken Zeit­schriften, die als halbamtlich aufgrund ihrer Subven­tionierung durch staatliche Institutionen gelten. Der Zugang zu diesen Zeit­schriften ist eingeschr;nkt. Das Talent f;r eine eventuelle Publikation spielt keine gro;e Rolle und ist eher zum Nachteil f;r den Schreibenden. Bevorzugt werden gute, nach den bew;hrten Regeln zugeschnittene Texte mittleren Niveaus. Wie der bekannte russische Dichter Kons­tantin Kedrow sagt, diese Menschen w;rden Angst vor allen Erscheinungen der leben­digen Poesie haben. Um in diesen Zeitschriften publizieren zu k;nnen, muss man gute Beziehungen haben und sich in der Szene verkehren. Wenn ich eine Auswahl von Gedichten aus diesen Zeitschriften lese, habe ich das Gef;hl, dass diese Texte von einem und demselben Autor verfasst worden sind. Vielleicht mag er ein Absolvent des Literatur­insti­tuts sein, aber seine Weltsicht und literarische F;higkeiten sind offen­sichtlich beschr;nkt. Etwas Au;ergew;hnliches in diesen Zeitschriften zu lesen ist eine Ausnahme, die die Regel best;tigt. Die dicken Zeitschriften bekommen ein St;ck vom Budget­kuchen und das erkl;rt so manches.

Zum Zweiten gibt es das Projekt Wawilon (dt. Babylon), das sich als der Bote der jungen Literatur bezeichnet. Dieses inter­essante und bekannte Projekt publiziert junge und nicht ganz mehr so junge Autoren. Was die Jungen betrifft, scheint hier alles nicht so glatt zu laufen. Wie auch im Falle der dicken Zeitschriften entsteht der Eindruck, dass fast alle Texte von einer Person mit einer homosexuellen Identit;t und einer Vorliebe zum Freien Vers stammen. Das l;sst sich nur mit der Mode erkl;ren.


Zum Dritten gibt es die so genannte Fergana-Schule in Mittelasien. Finanzielle M;glichkeiten von Fergana-Schule sind nicht so gro; wie z. B. die von Wawilon. Sie ist zahlenm;;ig eher klein, aber sie zeichnet sich durch hohe k;nstlerische Qualit;t aus. Einige der Dichter der Fergana-Schule publizieren ebenfalls bei Wawilon.

Zum Vierten gibt es die DOOS, das sich zu Deutsch als Freiwillige Gesellschaft zum Schutz der Libellen entziffern l;sst. Wie das klingt! Die DOOS geh;rt in die Nische der Andersdenkenden in der russischen Poesie und hat eine Vielzahl an inter­es­santen Dichtern zu bieten. Entscheidend f;r das Auswahlkriterium der Zeitschrift, die monatlich von der DOOS herausgegeben wird, ist die Qualit;t der Texte. ;ber die DOOS und seinen Ideengeber werde ich unten ausf;hrlich erz;hlen.

Zum F;nften gibt es zahlreiche Anthologien und Jahrb;cher. Sie werden fast in jeder russischen Gro;stadt heraus­gegeben, wo es Handvoll Dichter gibt. Hier gibt es lokale Genies, eigene Petrarcas mit ihren Lauras.

Und endlich, zum Sechsten gibt es Poesie im Inter­net oder mit anderen Worten – die Netzpoesie. Dieses Ph;nomen scheint mir am interessantesten zu sein. Ich wei; nicht, wie die Diskussion in den dicken Zeitschriften zu Ende gegangen ist, ob es die Netzpoesie gibt, und wenn doch, was ist das? Vielleicht streiten sie sich immer noch dar;ber. Diese dicken Zeitschriften, deren Auflagen selten ;ber f;nf Tausend Exemplare liegen, wollen entscheiden, ob es Dutzende Tausend Autoren und Dichter im Netz wirklich gibt. Ist das nicht zum Lachen? Nein, sie meinen das ernst! Sie sind besorgt! Besorgt vor allem dar;ber, dass ein Dichter mittleren Niveaus zwanzig bis drei;ig Tausend Leser in einem halben Jahr anziehen kann. Es gibt Autoren im Netz, deren Leserschaft bis zu einer Million betr;gt. Ein begabter Autor schafft hundert bis zwei hundert Tausend Leser zu gewinnen. Nat;rlich gibt es im Netz sehr viel Grapho­manie bzw. Dichte­ritis, aber Vieles ist ausge­sprochen gut. Es gibt Internetseiten, die jedem regis­trierten Nutzer erlauben, Texte nach seinem Belieben zu publizieren und zu l;schen. Die anderen Seiten besch;ftigen Redaktions­kollegien.

Ich kenne dutzende Dichter, die ihren Schaffensweg im Netz angefangen haben. Das Netz ist ein Labora­torium zur Selbst­vervoll­kommnung. Das gleicht dem Meer, in dem man taucht und nach Perlen sucht. Und ich finde, dass diese Metapher des Perlentauchens vortrefflich die Situation in der modernen russischen Poesie beschreibt. Aus dem Grund schlie;e ich mich einer der Netz­dichte­rinnen an, die die moderne Zeit, in Anlehnung an Goldenes und Silbernes Zeitalter der russischen Literatur­geschichte, als Perlen­zeitalter bezeichnete.

Es gab auch andere Versuche diesem Bl;hen der russischen Poesie einen Namen wie Platin- oder Eisernes Zeit­alter zu geben. Ich erhebe keinen Anspruch, dass sich das Perlen­zeitalter durchsetzt. Das Einzige, was ich will, dass das M;dchen, dem ich einen Zettel mit den Worten Ich liebe dich in der neunten Klasse zugesandt habe, nachdem es heute diesen Essay gelesen hat, zu mir vor 23 Jahren wohlwollender sein wird. Und ich werde ein eifriger Familien­vater und kein Schrift­steller.

Im Rahmen des Projekts oder
ein Interview mit Konstantin Aleksandrowitsch Kedrow
Interviewer: Sehr geehrter Konstantin, als Sie im Jahr 2004 f;r den Nobelpreis nominiert wurden, haben Sie in Ihrem Interview gesagt, dass die russischen Literatur­zeit­schriften Angst vor allen Erschei­nungen der leben­digen Poesie haben. Sie haben von der ;sthe­tischen Diktatur der Sowjet­zeit gespro­chen, die den Geschmack dieser Menschen geformt hat. Hat sich aus Ihrer Sicht etwas ver;ndert in letzter Zeit?

Konstantin Kedrow: Die Situation hat sich nur verschlimmert. Nach wie vor geben die Redakteure Tschuprinin und Natalja Iwanowa aus der Zeitschrift Znamja den Ton an. Sie hassen alles, was ;ber die Grenzen der sowje­tischen ;sthetik hinaus­geht. Sie vergeben nun die Preise in der Regel f;r Konser­vatismus und Geist­losigkeit. Ihr Geschmack bestimmt Realismus und nur Realismus. Barmetowa aus der Zeitschrift Oktjabr und Wasilevskij aus Novyj Mir (ich kann mich noch heute an diesen wegen seiner Unschein­barkeit bemer­kens­werten Studenten erinnern) unter­scheiden sich von den ersten beiden nicht viel. Man kann eine dicke Lite­ratur­zeit­schrift von der anderen nicht unter­scheiden. Es sind die­selben sowje­tischen Gedichte mit dem einzigen Unter­schied, dass das Wort Partei mit Gott ersetzt wurde.

Interviewer: Das klingt paradox, aber zu der gleichen Zeit vor sieben Jahren haben Sie vom Bl;hen der modernen russischen Poesie gesprochen. Sind Sie immer noch in dieser Frage so opti­mistisch? Und wenn ja, welche Rolle spielt das Internet f;r die moderne Literatur?

Konstantin Kedrow: Das Internet ist die einzige Lichtquelle im Dunkeln, aber zugleich dunkelt es da vor Dichteritis. F;r mich pers;nlich bleibt das Internet das Fenster in die Welt f;r meine Poesie. Wenn auch meine Poesie von offi­ziellen Lite­ratur­zeitschriften verschwie­gen und ausge­sto;en wird, pfeife ich darauf. Schurnal POetow (dt. Zeit­schrift der Dichter) erscheint jetzt monatlich im Internet. Nat;rlich entstand nach dem Tod Parschtschi­kows und Wosnes­sens­kis eine Leere. Die beiden kann man nicht ersetzen. Aber es gibt genug Geniales: Sound-Poesie von Sergej Birjukov, Palin­dronawtik von Elena Kazjuba, dadaistischer Post­moder­nismus von Wituch­nowskaja, uner­warteter Ausbruch des feinsten Scharf­sinns von Kirill Kowal'dschi. Es gibt zweifellos einen Auf­schwung, obwohl die Poesie offiziell ganz andere Auto­ren vertreten, die den Lite­ratur­funk­tion;ren verst;ndlich und nah sind.

Interviewer: Ihr Schurnal POetow erscheint jetzt als Magazin. Worin sehen Sie als Redakteur Ihre Aufgabe? Sind Sie in Opposition zu offi­zieller Literatur? Und f;r wen ist Ihr Magazin offen?

Konstantin Kedrow: Das Magazin hat keine Leitlinie. Ich pfeife auf die dicken Zeitschriften, die im Staatshaushalt wie die Maden im Speck sitzen. Ich habe sie zu Sowjet­zeiten nicht gelesen und auch jetzt sehe ich sie nur, wenn jemand mir sie mit Gewalt unter die Nase h;lt. Ich bin keine Opposition, sondern die Wir-Position! Ganz nach dem Prinzip der Thelema-Bruder­schaft von Rabelais: Jeder macht das, was er will oder anders gesagt:

Die Erde flog der
Schwerkraft folgend und der
Schmetterling flog wie er
wollte2

Zu uns fliegen Schmetterlinge und Libellen aus der ganzen Welt von den USA bis zu Mongolei, von der Provinz bis zu den Hauptst;dten. Das Magazin ist offen f;r alle Autoren, die einen eigenen Stil haben und nicht mit ausgestreckter Zunge aus den Lehrb;chern abschreiben.

Interviewer: Konstantin Aleksandrowitsch, Sie haben Ihre eigene Dichterbiographie geschaffen und das trotz oder vielleicht gerade deswegen, dass Sie immer gegen den Strom geschwommen sind. K;nnen Sie die Entstehungsgeschichte von Metametapher erz;hlen und den Begriff selbst ausf;hrlich beschreiben? Er scheint mir etwas wage definiert zu sein. Oder kann man die Metametapher mit den Worten nicht beschreiben? Ist sie einfach im Gef;hl?

Konstantin Kedrow: Die Metametapher erlaubt ein ganz anderes Bild von der Welt zu schaffen. Das ;u;ere und das Innere sind hier relativ und gegenseitig austauschbar:

Mensch ist die Kehrseite des Himmels
Himmel ist die Kehrseite des Menschen3

Solches kosmische Umst;lpen ist mir von der Natur aus eigen. Schon mit f;nfzehn Jahren habe ich geschrieben:

Ich kam zu mir
durch-entgegen-von
Und ich ging UNTER
Errichtet UBER4

Das kann man zu meiner ersten Metametapher z;hlen. Auf der Sinnes- und Tonebene ist das ein Anagramm. Zum Beispiel SWET (dt. Licht) beim Umst;lpen wird zu WEST' (dt. Nachricht). Oder die Worter funktionieren nach dem Matrjoschka-Prinzip:

NEBES POKOJ (dt. Ruhe des Himmels),
NEBESPOKOJ (dt. nicht st;re)

Das ist aber noch nicht alles: Die Metametapher ist die Amphora des neuen Sinns. Zum Beispiel enth;lt mein Gedicht Der Apfel die Poincare-Vermutung, die der russische Mathematiker Grigori Perelman 2002 bewiesen hat.

Der Apfel, der Adam ausgekostet hat,
enthalt in sich den Baum.
Und der Baum, der Adam ausgekostet hat,
tragt bittere Frucht, die Adam
ausgekostet hat. Der Wurm, der sich mit dem Leibe wand
auf die Innenseite seines Gewands,
enthalt in sich den Apfel und den Baum.5

Das ist ohne Zweifel eine Metametapher. Die Metametapher ist eine Litotes in einer Hyperbel und eine Hyperbel in einer Litotes gleichzeitig. Aus dem Grund kann man hier keine tradi­tionelle Termi­no­logie anwenden. Manchmal gehoren allgemeine mathe­mati­sche Formeln zu Meta­metaphern. Zum Beispiel E=MC. Wenn wir uns in die Formeln emotional hinein­leben k;nnten, w;rden sie fur uns zu den Meta­metaphern werden. Sie haben durchaus Recht, der Sinn der Meta­metapher ist uner­sch;pflich.

Interviewer: Es wird bestimmt schwer sein Ihr Wortspiel und poetisches Jonglieren ins Deutsche zu ;bertragen. Aber gehen wir zu etwas anderem ;ber: Heutige Farb­losig­keit der offiziellen Literatur ist wahr­schein­lich durch politische Situation bedingt. Wann war es f;r Sie einfacher gegen den Strom zu schwimmen, zu Breschnew-Zeiten, als der Protest zu einem Helden machte, oder heute? Denn man kann heute sehr leicht in geschmack­losem Stimmen­gewitter untergehen.

Konstantin Kedrow: Die Henker und die Wachleute von der Literatur sind die­selben in den dicken Lite­ratur­zeit­schriften geblie­ben, aber die Situation hat sich radikal ver;ndert. Schurnal POetov konnte damals unter keinen Umst;nden erscheinen. Ich werde heute verschwiegen, und damals wurde ich zu all dem noch verleumdet und drei;ig Jahre lang NICHT VER;FFENT­LICHT! Und das ist eine schreck­liche Folter f;r einen Dichter. Ich erz;hle heute das, was ich schon vor drei;ig Jahre entdeckt und geschaffen habe. Wahr­schein­lich gab es keinen ver­gleich­ba­ren Fall in der russischen Literaturgeschichte. Viele verstehen nicht die Tragik meiner Dichter­gene­ration: Gubanow, Chwostenko, Birjukov, Kazjuba ... Ich k;nnte noch ein Dutzend Namen nennen. Wir wurden in die Poesie nicht rein gelassen. Und als die Freiheit kam, da hatten alle pl;tzlich ganz andere Sorgen! Jetzt wendet sich alles zum Besseren, wenn auch sehr langsam. Das Interesse am Schurnal POetov steigt stetig. Die offizielle Poesie ist immer farblos! Aber ich hatte, habe und will damit nichts zu tun haben.

Interviewer: Wenn Sie die n;chste Frage etwas indiskret finden, dann m;ssen Sie sie nicht beantworten. Sie wurden drei;ig Jahre nicht ver;ffentlicht. Anderer­seits war Andrej Wosnessenski Ihr Freund. Warum konnte er Ihnen nicht helfen, Ihre Texte zu publizieren.

Konstantin Kedrow: Ich habe Andrej Wosnessenski im Jahr 1984 kennengelernt. Er hat mich, Parschtschikow und Swiblowa auf seine Datsche eingeladen. Wir haben uns aber erst 1988 wirklich gen;hert, als wir einen Literatur­abend Keine­schweige­minute im Palast der Jugend veranstaltet haben, wo erstmals die Under­ground-Dichter Sapgir, Cholin, Aigi, Parschtschikow, Kutik und Eremenko aufgetreten sind. Wosnessenski konnte mir nicht helfen. Er war selbst halblegal. Zum Beispiel, um ;ber Wosnessenski in der Literaturnaja Gazeta schreiben zu k;nnen, musste die Redaktion das Zentral­komitee um Erlaubnis bitten. Gleichzeitig wurde er von Kritikern wie Latynina stark beschimpft. Seine B;cher konnte man nur in der tiefsten Provinz kaufen, in den Gro;­st;dten wurden sie auf dem Schwarz­markt gehandelt. Wir sind in den 90er Jahren richtige Freunde geworden, nachdem er aus den USA zur;ck­gekommen war. Wir sind seit 1995 in allen Heften Schurnal POetov zusammen­erschie­nen und haben unz;hlige Literatur­abende veranstaltet. Er hat mir wunder­bare Gedichte Demon­stration der Zunge und ;therische Stanzen gewidmet. Und aus Indien unter dem Buddha-Baum diktierte er mir per Telefon: Es kommt Lada CREDOVA/ Constanta CEDROVA.

Interviewer: Welche Auswirkungen hatte Ihre adlige Abstammung auf Ihr Leben?

Konstantin Kedrow: Als ich im Jahr 1952 zehn Jahre alt war, kehrte Maria Fedorowna, die Schwester meiner Gro;mutter Sofia Fedorowna Tschelischtschewa, aus dem Lager zur;ck. Sie hat mir erz;hlt, dass die ganze Familie 1918 laut Lenins pers;nlichem Befehl aus ihrem Landgut Dubrowka bei Kaluga vertrieben wurde. Ich war vor einem Monat dort. Es sind das Hausfundament und sechs Linden, die mein Gro;vater 1907 gepflanzt hat, erhalten geblieben. Ich sah bl;hende verwahrlose G;rten und viele Hektar Wald. Das alles hat er gepflanzt. Ich habe mit der Urenkelin seiner G;rt­nerin gesprochen. Meine Mutter hat versucht auf jede Weise ihre adlige Abstammung zu verheim­lichen, aber als Maria Fedorowna aus dem Lager zur;ck­kehrte, konnte sie das nicht mehr ver­bergen. 1957 habe ich eine Postkarte aus Italien von Pawel Tschelisch­tschew, dem j;ngeren Bruder meiner Gro;mutter, bekommen. Ich denke, dass der KGB mich unter dem Namen F;rster gef;hrt hat, weil mein Gro;vater in der Forst­wirt­schaft t;tig war. Anfang der 70-er Jahre habe ich Pawels Gem;lde geerbt. Als der KGB das Berufs­verbot ;ber mich verh;ngte und ich nicht mehr unterrichten durfte, sah ich mich gezwungen die Bilder zu verkaufen. Jetzt h;ngen sie in der Galerie Unsere Maler in Borki bei Moskau und sind viel Geld wert. Ich schlie;e nicht aus, dass die KGB-Mitarbeiter mich wegen meiner adligen Ab­stammung m;tter­licher­seits verfolgt haben, aber auch j;dische Ab­stammung meines Vaters gab ihnen keine Ruhe. Mein Vater Alexander Berdit­schevski war ;brigens ein Sch;ler von dem ber;hmten russi­schen Regisseur und Schau­spieler Wsewolod Meiergold. Ich erfuhr das an seinem sechszigsten Geburts­tag, als er ein Tele­gramm von Igor Ilinski bekommen hat: Wir erinnern uns an unseren begabten, gutm;tigen und humorvollen Sascha! Und das wurde bis 1965 geheim gehalten. Nun so verging mein Leben und das Leben meiner Eltern im Verborgenen, man kann sagen in der Illegalit;t.

Computer der Liebe6 (Das Manifest der Metametapher)

Himmel ist die H;he des Blickes
Blick ist die Tiefe des Himmels

Schmerz ist die Ber;hrung Gottes
Gott ist die Ber;hrung des Schmerzes

Atemsto; ist die Tiefe des Atemzuges
Atemzug ist die H;he des Atemsto;es

Licht ist die Stimme der Stille
Stille ist die Stimme des Lichts
Finsternis ist der Schrei des Leuchtens
Leuchten ist die Stille der Finsternis
Regenbogen ist die Freude des Lichts

Gedanke ist die Stummheit der Seele
Seele ist die Bl;;e des Gedankens

Licht ist die Tiefe des Wissens
Wissen ist die H;he des Lichts

Pferd ist das Tier des Raumes
Katze ist das Tier der Zeit
Zeit ist der zusammengerollte Raum
Raum ist das ausgerollte Pferd

Katzen sind die Kater des Raumes
Raum ist die Zeit der Kater

Sonne ist der K;rper des Mondes
K;rper ist der Mond der Liebe
Dampfschiff ist die eiserne Welle
Wasser ist das Dampfschiff der Welle

Trauer ist die Leere des Raums
Freude ist die F;lle der Zeit
Zeit ist die Trauer des Raums
Raum ist die F;lle der Zeit

Mensch ist die Kehrseite des Himmels
Himmel ist die Kehrseite des Menschen

Ber;hrung ist die Grenze des Kusses
Kuss ist die Grenzenlosigkeit der Ber;hrung

Frau ist das Innere des Himmels
Mann ist der Himmel des Inneren
Frau ist der Raum des Mannes
Zeit der Frau ist der Raum des Mannes

Liebe ist der Hauch der Ewigkeit
ewiges Leben ist der Augenblick der Liebe

Schiff ist der Computer des Ged;chtnisses
Ged;chtnis ist das Schiff des Computers

Meer ist der Raum des Mondes
Raum ist das Meer des Mondes

Sonne ist der Mond des Raumes
Mond ist die Zeit der Sonne
Raum ist die Sonne des Mondes
Zeit ist der Mond des Raumes
Sonne ist der Raum der Zeit
Sterne sind die Stimmen der Nacht
Stimmen sind die Sterne des Tages

Schiff ist die Anlegestelle des ganzen Ozeans
Ozean ist die Anlegestelle des ganzen Schiffes

Haut ist die Zeichnung der Sternbilder
Sternbilder sind die Zeichnung der Haut

Christus ist die Sonne Buddhas
Buddha ist der Mond Christi

Zeit der Sonne wird mit dem Mond des Raumes gemessen
Raum des Mondes ist die Zeit der Sonne

Horizont ist die Breite des Blicks
Blick ist die Tiefe des Horizonts
H;he ist die Grenze der Sehkraft

Prostituierte ist die Braut der Zeit
Zeit ist die Prostituierte des Raumes

Hand ist das Boot f;r die Braut
Braut ist das Boot f;r die Hand

Kamel ist das Schiff der W;ste
W;ste ist das Schiff des Kamels

Liebe ist die Unvermeidlichkeit der Ewigkeit
Ewigkeit ist die Unvermeidlichkeit der Liebe

Sch;nheit ist der Hass des Todes
Hass auf den Tod ist Sch;nheit

Sternbild Orion ist das Schwert der Liebe
Liebe ist das Schwert des Sternbildes Orion

der Kleine B;r ist der Raum des Gro;en B;ren
der Gro;e B;r ist die Zeit des Kleinen B;ren

Polarstern ist der Punkt des Blicks
Blick ist die Breite des Himmels
Himmel ist die H;he des Blicks
Gedanke ist die Tiefe der Nacht
Nacht ist die Breite des Gedankens

Milchstra;e ist der Weg zum Mond
Mond ist die ausgerollte Milchstra;e
jeder Stern ist Wonne
Wonne ist jeder Stern

Raum zwischen den Sternen ist die Zeit ohne Liebe
Liebe ist die mit Sternen gef;llte Zeit
Zeit ist der reinste Stern der Liebe
Menschen sind interstellare Br;cken
Br;cken sind interstellare Menschen

Leidenschaft zur Verschmelzung ist der ;berflug
Flug ist die verl;ngerte Verschmelzung
Verschmelzung ist der Ansto; zum Flug
Stimme ist der Wurf zueinander
Angst ist das Ende der Lebenslinie
Unverst;ndnis ist das Weinen um den Freund
Freund ist das Verst;ndnis des Weinens

Entfernung zwischen Menschen f;llen die Sterne aus
Entfernung zwischen Sternen f;llen die Menschen aus

Liebe ist die Lichtgeschwindigkeit
umgekehrt proportional der Entfernung zwischen uns
Entfernung zwischen uns
umgekehrt proportional der Lichtgeschwindigkeit ist
die Liebe


;bersetzt aus dem Russischen von Sergej Tenjatnikow,
Dichter und ;bersetzer, Leipzig, Januar 2011
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1Der himbeerrote Sakko galt als ein Symbol der Neuen Russen (vgl. Parven;s), die als eine neue soziale Schicht in Russland nach der Pere­stroika in Erschei­nung traten. Die allgemein als billig und geschmacklos geltende, aber gleich­zeitig aggres­siv wirkende Mode der himbeer­roten Sakkos wurde schnell zur Farce und somit zum Klischee f;r eine unkultivierte und ungebildete, aber schnell zu Reichtum gekommene Person.

2Rus.: Çåìëÿ ëåòåëà/ ïî çàêîíàì òåëà/ à áàáî÷êà ëåòåëà/ êàê õîòåëà von Konstantin Kedrow ubersetzt von Sergej Tenjatnikow

3Rus.: ×åëîâåê-ýòî èçíàíêà íåáà/ Íåáî-ýòî èçíàíêà ÷åëîâåêà von Konstantin Kedrow ;bersetzt von Sergej Tenjatnikow

4Rus.: ß âûøåë ê ñåáå/ ÷åðåç-íàâñòðå÷ó-îò/ È óøåë ÏÎÄ/ Âîçäâèãàÿ ÍÀÄ von Konstantin Kedrow ;bersetzt von Sergej Tenjatnikow

5Rus.: Òî ÿáëîêî âêóñèâøåå Àäàìà/ òåïåðü âíóòðè ñåáÿ ñîäåðæèò äðåâî/ À äåðåâî âêóñèâøåå Àäàìà/ Ãîð÷èò ïëîäàìè -èõ âêóñèë Àäàì…/ ×ÅÐÂÜ âûâåðíóâøèñü íàèçíàíêó ×ÐÅÂÎÌ/ â ñåáÿ âìåùàåò ÿáëîêî è äðåâî (1980) von Konstantin Kedrow ;bersetzt von Sergej Tenjatnikow

6Rus.: Êîìïüþòåð ëþáâè (1984) von Konstantin Kedrow ;bersetzt von Sergej Tenjatnikow



Anatolij Grinvald    09.06.2012   

 

 
Anatolij Grinvald

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