Nirgendwo

Ýììà Êëåéí
AUS MEINEM REISETAGEBUCH
Gott liess die Inseln der Griechen wie Fetzen fallen ins Aegaeische Meer.
Ockern, zerklaeftet, von sandhellen, sich schlaengelnden Strassen wie Adern durchzogen. Zwischen den felsigen Kuesten ziehen Boote im azurblauen Wasser mit weissem Schweif als taghelle Kometen ihre Bahn.
Wenn du dort bist, beginne damit, das Kleine zu fassen:
Die duerren Katzen, die mit hungrigen Augen deinem Gang folgen durch die Gasse.
Der schattige Garten der Witwe im schwarzen Kleid, die laechelnd deinen Gruss erwidert.
Die purpurnen Blaetter der Bougevillea, die leuchtend rankt am verwitterten Tor.
Ein rostiger Schluessel steckt darin.
Dreh ihn und tritt ein, in das halbverlassene, halblebendige Dorf, unter den gezackten, steinuebersaeten Gipfeln, wo die Daecher Gaerten tragen, wenn sie nicht verfallen. Lass dich nieder, trink ein Glas Wein, waehrend die Gardinen wehen, der nimmer muede Chor der Zikaden die Hitze zersaegt und weit unten, unfassbar blau, das Mittelmeer liegt.
Reise weiter ueber den Bergpass auf engen gewundenen Wegen hinein ins alte Land der Kreter. Oleander soeumt bluehend die Strasse. Tausend Olivenhaine, tausend Kirchen und Kapellen im unwegsamen Nirgendwo. Das Gloeckchen ruft scheppernd ins Tal. Die bimmelnden Glocken der Zicklein antworteten. Dann stroemen die Glaeubigen herbei, den langen Weg den heiligen Berg hinauf.
Es ist auch das alte Land der alten Goetter. Da liegt die Idaeische Grotte, die Zeus gebar, dort stuerzte Ikarus vom Uebermut ins Meer, waehrend Ariadne nach des Minotaurus Tod noch die Faeden zu entwirren versuchte ...
So wie du, Stueck fuer Stueck, die Geschichte der Insel entwirrst: Eroberer kamen und Besatzer. Die Roemer, die Tuerken, die Venezianer und die Deutschen. Die Kreter aber blieben unbeirrt Kreter: stoisch, knorrig und erdverbunden, wie der alte Olivenbaum inmitten ihres Dorfs.